Der Adler im Wappen macht neugierig, hier und da der Hinweis „Reichsstadt“ auch. Wir wollten wissen, was es auf sich hat mit den Reichsstädten. Wir trafen Karl-August Lehmann, der sich intensiv mit der Thematik beschäftigt hat, in der einst kleinsten Reichsstadt Zell am Harmersbach.
„Reichsstadt“ ein Anachronismus? Nein, „die Vergangenheit“, so Lehmann, „ist ein wichtiger Teil der heutigen Zeit. Entstanden sind Reichsstädte aus den Stadtgründungen, die ursprünglich im Besitz der Könige und Kaiser waren. Die Reichsstädte Gengenbach und Zell am Harmersbach waren direkt dem Kaiser unterstellt und hatten keine andere Obrigkeit zu dulden. Die Ortenauer Reichsstädte, dazu zählte auch Offenburg, waren rund 170 Jahre zusammen mit der Reichslandvogtei Ortenau verpfändet. Verpfändet heißt, dass der Kaiser an treue Gefolgsleute, eine Stadt oder ein Gebiet als Pfand versetzte. Dafür entrichtete der Pfandnehmer eine bestimmte Summe und erhielt dafür über einen gewissen Zeitraum sämtliche Einnahmen, also Steuern und Abgaben. Für Gengenbach und Zell dauerte diese Phase der Verpfändung bis 1504.“ Dass es in der Region Städte wie Gengenbach und Zell am Harmersbach zu Reichsstädten erhoben wurden, hatte, so Lehmann, unter anderem mit den Verkehrswegen zu tun. „Durch die Ortenau führte die wichtige Nord-Süd-Verbindung in der Rheinebene, hier querte die Verbindung von Straßburg nach Rottweil durch den Schwarzwald, schon seit der Römerzeit bedeutende Verkehrsachse. Und nicht zu vergessen, Rhein und Kinzig als ‚Wasserstraßen’, für die Flößerei von enorm hohem Stellenwert. Hinzu kommt, dass die Ortenau seit jeher klimatisch begünstigt war. Bis heute übrigens, wie Wein- und Obstbau belegen.“
Eine Stadt, die sich auf ihre Wurzeln besinnt und sich mit ihr identifiziert, öffnet auch der Jugend den Zugang zur Geschichte
Dies war wahrscheinlich mit ausschlaggebend, dass 1366 Kaiser Karl IV. auf Vermittlung des Gengenbacher Abtes Lambert von Brunn die Ortenauer Reichsstädte mit allen Gütern und Leuten in des Heiligen Reiches Schirm aufnahm und ihnen nachdrücklich alle „Privilegien, Briefe, Freiheiten, Rechte, Gnaden, Ehren und guter Gewohnheiten“ zusprach. „Übrigens“, so Lehmann. „wird in der Urkunde auch ausdrücklich das Tal Harmersbach genannt, das in den folgenden Jahrhunderten als ‚Reichstal‘ eine ähnliche Geschichte durchlebte wie die ‚Reichsstädte’. Beiden Städten, wie auch dem Reichstal Harmersbach, boten die Privilegien mit eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit weitgehenden Freiraum. Einrichtungen, Rathaus, Gerichtsgebäude, Stadtmauern und Wehrtürme, sie machten eine Reichsstadt aus und natürlich vor allem die Bürger. Sie fühlten sich zu Recht frei, waren nicht mehr an einen Grundherrn gebunden. Das repräsentierten sie in Handwerkszünften und auf den Märkten. Stand und Land ergänzten sich, wie das zum Teil heute noch auf den Märkten zu beobachten ist.“
„Reichsstadt“ ist Geschichte und doch sind Spuren bis in die Gegenwart zu erkennen. Bürgergarde und Bürgerwehr in den Städten, die zu Festtagen aufmarschieren, erinnern noch an die Zeit von einst. Und irgendwie scheinen sie auch selbstbewusster, die Menschen in Gengenbach, Zell am Harmersbach und im Harmersbachtal.